FAZ III

Nicht nur Partymeile Das andere Alt-Sachsenhausen

Eine üble Partymeile, aber auch liebenswerte Gegend mit guter Nachbarschaft: Immer mehr Leute wollen dem Frankfurter Amüsierviertel ein neues Image geben.

01.04.2015, von Grete Götze, Frankfurt
 

Manche Gegenden hatten es noch nie leicht, einen guten Ruf zu haben, Alt-Sachsenhausen gehört dazu. Es gab Zeiten, da haben die Frankfurter dieses kleine Viertel ihrer Stadt mit seinen zweigeschossigen Fachwerkhäusern als „Zischebattem“ veräppelt, abgeleitet vom Hebräischen und gleichbedeutend mit „sechs Häuser“, also: ein Kaff.

Seine Einwohner galten als widerborstig, Fischer, Weber und Gärtner wohnten dort. Einfache Leute. Aber auch selbstbewusste Leute: Ende des 18. Jahrhunderts erhielt ein Gärtner als Erster die Erlaubnis, Apfelwein auszuschenken. Der saure Most avancierte schnell zum Nationalgetränk der Frankfurter. Getrunken wurde er in Sachsenhausen.

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Karree zwischen Großer Rittergasse, Kleiner Rittergasse, Klappergasse und Dreieichstraße bekannt als Ausgehviertel für die in Frankfurt stationierten Amerikaner, die heftig feierten und in deren Windschatten es viele andere taten.

Jugendliche wanken in Gruppen über das Kopfsteinpflaster

Noch heute hat Alt-Sachsenhausen einen zweifelhaften Ruf: als „Partymeile“ und Ort für Junggesellenabschiede, als Viertel mit Ballermann-Stimmung und Meterbier. Als „Shishahausen“, ein Spitzname, der von den vielen Shishabars in den Gassen rührt, „1001 Nacht“, „Diwan“ und „Oriental Deluxe“ heißen sie.

Ein Freitagabend, kurz vor Mitternacht. In den Shishabars sitzen Apfeltabak rauchende Männer, die auf ihre Smartphones starren, neben Nofretete-Skulpturen und kichernden Teenagern. Auf den Straßen liegen leere Flaschen herum, es riecht säuerlich, der Boden klebt. Von jeder Kneipe blinken andere Lichteffekte. Polizisten mit Streifenwagen sollen für Ordnung sorgen. Die Wirte werben mit Meterbier und Tequila für einen Euro. Jugendliche um die zwanzig wanken in Gruppen über die Kopfsteinpflaster. Einer sagt: „Es ist wie Fasching hier, alles ist voll. Auf der Zeil ist schon um acht Uhr Schluss mit lustig. Hier kann man billig trinken.“

Wieso baut die Stadt eine künstliche Altstadt auf der anderen Mainseite?

Gar nicht lustig findet das Frank Winkler. Seine Apfelweinwirtschaft „Lorsbacher Thal“ liegt an der Großen Rittergasse, mitten in der Partymeile. Der elegante Wirt mit Cordjacket und Einstecktuch hat vor gut einem halben Jahr eine der ältesten Wirtschaften im Viertel übernommen. Sein Lokal läuft gut, aber Winkler sagt, er verstehe nicht, dass es erlaubt ist, selbst mitgebrachten Alkohol auf der Straße zu trinken. Die Jugendlichen kauften sich ihre Getränke am Kiosk, den Wirtschaften bringe das nichts.

Winkler ist auch schleierhaft, „wieso die Stadt auf der anderen Mainseite für etliche Millionen eine künstliche Altstadt baut, während Alt-Sachsenhausen doch schon ein wunderbares Viertel ist“. Ein paar mehr Mülleimer bräuchte es und ein klareres Konzept der Stadt, was aus ihm werden solle. Denn es gebe ja viele Leute, die Neues vorhätten in Alt-Sachsenhausen.

Fachwerkhaus errichtet

Tatsächlich versuchen seit einiger Zeit einige im Viertel, neue Zielgruppen anzusprechen, das Quartier für Kunst und Kultur zu öffnen. Da ist zum Beispiel das vielgerühmte Atelierhaus „Der kleine Mann mit dem Blitz“, dessen Fassade ein virtuell nachempfundenes Fachwerk ist. Bernhard Franken hat es gebaut, 2014 ist es fertig geworden, finanziert wurde es unter anderem durch Crowdfunding.

Steen Rothenberger ist der Eigentümer. Der 36 Jahre alte jüngste Sohn des Familienunternehmens Rothenberger hat seine Freunde überzeugt, dort einzuziehen. Nach Oliver Tamagnini ist das Haus benannt. Der Fotograf ist eine der beiden Parteien, die unter den spitzen Giebeln wohnen. Er organisiert außergewöhnliche Musik-Veranstaltungen im Erdgeschoss.

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Eva Kösling ist die andere. Sie leitet das „Lindenberg“, ein kleines, unkonventionelles Hotel im Frankfurter Ostend, das ebenfalls Rothenberger gehört. Im Juni wird die Vierunddreißigjährige auch Geschäftsführerin des zweiten Lindenbergs an der Ecke Frankensteiner Straße/Große Rittergasse. Architekt ist wieder Bernhard Franken, es entstehen 27 Suiten. Wieder werden die Bewohner eine Nacht oder viel länger bleiben können. Im Souterrain des Hotels entsteht ein für die Bewohner zugängliches Tonstudio. Die Werbeagentur „Bembel“, die bisher noch in der Klappergasse Kunden berät, zieht ins Erdgeschoss.

 

Viertel sei unter der Woche „wie ein Dorf“

Passend zur Hoteleröffnung soll im Juni ein erstes Stadtteilmagazin erscheinen. Rothenberger sagt, er wolle das Viertel präsenter machen, potentielle Mieter sollten erfahren, was dort los sei.

Jörg Bücking weiß das schon. Seine Frau hat sich in den Fachwerkbau gegenüber des Atelierhauses verliebt. Das Paar hat ihn gekauft und grundsaniert, seit drei Jahren wohnt es an der Kleinen Rittergasse. Unter der Woche sei das Viertel wunderbar, „wie in einem Dorf“, sagt Bücking. „Jeder kennt jeden, und außer Getränkelieferanten verirrt sich hier niemand.“

Freitags und samstags kämen dann die Leute, um die Sau rauszulassen. Die Bückings haben sich Schallschutzfenster einbauen lassen, aber laut sei es am Wochenende trotzdem. Und sonntags liege dann überall der Müll herum. Trotzdem möchten der Einundfünzigjährige und seine Frau nicht mehr wegziehen. Ihr Auto haben sie verkauft, Einkaufsmöglichkeiten gebe es genug. Und die Nachbarn, oft kinderlose jüngere Paare, seien freundlich. Das Atelierhaus von Steen Rothenberger habe schon neue Leute ins Viertel geholt.

Alt-Sachsenhausen werde sich drastisch wandeln

Besucht man Rothenberger in seinem Büro im Frankfurter Gutleutviertel, auf der anderen Seite des Mains, trifft man auf einen begeisterungsfähigen Investor und ein junges Team. Vier Häuser gehören Rothenbergers Familie in Alt-Sachsenhausen. Rothenberger glaubt, dass die Immobilien Potential haben. „In Alt-Sachsenhausen muss man langfristig Herzblut investieren und dabei zu kurzfristige Profitgedanken ausblenden“, sagt er. Auch wenn das naiv klinge und die vielen Billigkneipen und Shishabars mögliche Mieter abschreckten: Gute Projekte rentieren sich irgendwann, meint Rothenberger. Alt-Sachsenhausen werde in den nächsten fünf bis sieben Jahren eine fundamentale Veränderung erleben, sagt er. Ein Schlüssel dazu sei der Paradieshof.

Dieses Stichwort ist in Frankfurt ein Reizwort. Die Stadt hatte das leerstehende Gebäude aus den sechziger Jahren für 1,2 Millionen Euro gekauft und 2011 beschlossen, Michael Quasts „Fliegender Volksbühne“ dort eine feste Bleibe zu bieten. Doch 2013 durchkreuzte die Sparpolitik der schwarz-grünen Koalition die Pläne, obwohl der Siegerentwurf eines Architektenwettbewerbs, Pläne von Max Dudler, schon in der Ausarbeitung waren. 350.000 Euro für die Katz. Laut Ortsvorsteher Christian Becker gibt es inzwischen einen Wasserschaden in dem Haus, das seit Jahren leer steht.

Das soll sich ändern. Im Planungsamt der Stadt Frankfurt werde ein Ausschreibungsverfahren für das Areal entwickelt, sagt der in dem Amt für Alt-Sachsenhausen zuständige Karsten Krüger. Ungefähr zehn Anfragen habe es schon gegeben, für eine Sportsbar, für neue Künstlerateliers, für Räume für Lehrveranstaltungen, für Wohnungen. Krüger geht davon aus, dass sich noch in diesem Jahr Interessierte offiziell bei der Stadt mit Konzepten für die Nutzung des Paradieshofes bewerben können. Unter zwei Bedingungen: Das neue Projekt müsse dem Viertel guttun, seine Belebung am Tag fördern. Und der Betrieb müsse sich selbst tragen. Ob das Gebäude saniert vermietet oder unsaniert verpachtet werde, stehe noch nicht fest.

„Wir wollen doch alle von der Sauferei wegkommen“

Zur Aufwertung des Quartiers habe die Stadt aber schon beigetragen, sagt Krüger. Seit dem Jahr 2000 wurden unter anderem Brunnen restauriert, Plätze umgestaltet und Pflaster saniert. Bisher hat das Stadtplanungsamt 1,41 Millionen Euro in die Sanierung von Gebäuden in Alt-Sachsenhausen investiert. Und Eigentümer können Geld von der Stadt bekommen, wenn sie ihr Haus sanieren möchten. Dass Alt-Sachsenhausen trotzdem als Partymeile gelte, daran könne die Stadt nicht viel ändern. Die Hausbesitzer seien mit in der Verantwortung.

 

Kilian Bumiller ist einer von ihnen. Dem Immobilieninvestor gehören, wie er sagt, „knapp zehn Häuser in Alt-Sachsenhausen“, etwa in der Kleinen Rittergasse ein Teil der berüchtigten Partykneipe „Oberbayern“ und das „Hooters“, in dem leichtbekleidete Kellnerinnen vorwiegend jungen Männern Burger und Bier servieren, denkmalgeschützte Häuser wie der Bau Große Rittergasse 81, mit einem Lokal namens „Hoppla“.

Auf die Frage, warum er nicht an andere Leute vermiete, sagt Bumiller: „Wir wollen doch alle dasselbe: Von der Sauferei wegkommen in Richtung Essen, den Generationenmix verbessern und tageslichttauglich werden.“ Es vergehe kein Tag, an dem er nicht versuche, einen solchen Wandel mit herbeizuführen. Aber wo es kein Laufpublikum gebe, wolle eben auch kein Bäcker oder Cafébetreiber einen Laden eröffnen.

Wird das Meterbier jemals verschwinden?

Einer, dem Bumiller sein Haus verpachtet hat, ist Samuel Weiffenbach. Einen Namen im Nachtleben gemacht hat sich der Zweiunddreißigjährige mit seinen „SinAllNeoN“-Parties in leerstehenden Gebäuden. Jetzt bespielt er unter dem Namen „Dough House“ mit seinem Partner Asaf Schwarz das Haus in der lange leerstehenden Kneipe „Gorjel Schwenker“. Auf drei Etagen gibt es Partys und Ausstellungen für Studenten und Berufsanfänger, die bereit sind, acht Euro für einen Longdrink zu bezahlen. Das Publikum ist bürgerlich, Ärzte, Künstler und Juristen trifft man dort. Bald will Weiffenbach im Erdgeschoss Essbares anbieten, „moderne Pizzen“ schweben ihm vor. Im Juni will er eine erste Bilanz ziehen, wie seine Geschäfte laufen. „Die Herausforderung ist, so viele Leute hierher zu bringen, dass es rentabel wird“, sagt er.

Das hoffen auch die Jungs aus dem neuen Skateboard- und Streetwear-Shop „Bonkers“ an der Klappergasse. „Es wäre natürlich cooler, wenn hier ständig Leute reinkämen“, sagt Betreiber Fabian Herkelman. Aber der Laden sei gut bezahlbar. Und das Viertel habe mehr Aufmerksamkeit verdient.

Investor Bumiller ist zuversichtlich. Zwar habe die Absage an den Paradieshof fünf Jahre gekostet. Aber man könne sich darauf verlassen, dass auf Dauer „jedes innerstädtische Viertel aufgewertet“ werde. Der Dreh- und Angelpunkt dafür ist in Alt-Sachsenhausen, da sind sich alle einig, die neue Nutzung des Paradieshofes.

Dass das Viertel, in dem schon seit Jahrhunderten die Leute ihren Schoppen trinken, einen völlig neuen Charakter bekommt, ist unwahrscheinlich. Das Widerborstig-Charmante gehört dazu. Aber wenn es gelingt, noch ein paar Meterbier-Kneipen gegen freundliche Bewohner und schöne Cafés auszutauschen, dann wird es langsam schwierig mit den fiesen Spitznamen für das Areal.